Das erste große Unwetter des Jahres war vorüber. Die Bienen im Stock in der hohlen Eiche hatte es hart getroffen. Einer der morschen Äste war vom Blitz getroffen worden. Zum Unglück war in dem Hohlraum ein Teil der Kinderstube untergebracht. Die Puppen waren kurz vor dem Ausschlüpfen gewesen. Nur eine einzige von ihnen hatte man aus den schwelenden Splittern retten können. Die neue Brut würde noch viele Tage brauchen bis zum Schlupf.
Die Puppe wurde sorgfältig in einen sicheren Teil des Stockes getragen. Etwas lädiert war sie schon, doch noch regte sich etwas im Inneren. Nachdem sich das Gewitter verzogen hatte, hatten die Bienen eine Menge Arbeit. Große Teile des Stockes mussten verlegt werden in einen sicheren Bereich. Da mussten neue Waben gebaut werden, Honig und Pollen umgelagert und natürlich bekam die Kinderstube einen neuen Platz tief im Zentrum, wo es am sichersten war.
Emsig wuselten die Bienen umher. Die Vorräte waren nach dem langen Winter verbraucht und längst nicht wieder aufgefüllt worden. Überall im Stock summte und brummte es vor Geschäftigkeit. Viele Bienen flogen tagsüber aus, auf der Suche nach Blüten mit reichen Nektarquellen. Und des nachts bauten sie eifrig an den neuen Teilen des Stockes.
In all dieser Geschäftigkeit schlüpfte das gerettete Bienchen. Es war etwas klein geraten und die Flügel waren zu kurz und an den Rändern ausgefranst. Sosehr es auch Luft in die Flügelchen pumpte, sie wurden weder größer, noch richtig glatt. Die Bienen des Stockes freuten sich trotzdem. Sie zeigten ihm seine Wohnwabe, wo es schlafen konnte. Morgen würde es in die Bienen-Schule kommen, wo es alles lernen durfte, was eine richtige Biene so wissen muss. Aufgeregt flatterte es mit den kurzen Stummelflügelchen. Durch die Fransen knatterte es ordentlich. Lauter als bei den dicken Hummeln. So nannten sie es kurzerhand Stummelbrumm.
In der Schule setzte man Stummelbrumm ganz nach vorne, weil sie so klein war und alle anderen Bienen schon älter. Sie würden in den nächsten Tagen bereits ihren Dienst antreten. Stummelbrumm passte gut auf. Heute war Blumenkunde auf dem Stundenplan. Der Stock brauchte noch viel Honig und Pollen. Gezeigt wurden wunderschöne Blüten. Blaue Wegwarte, leuchtend gelber Löwenzahn, purpurfarbener Fingerhut, Margeriten mit ihren weißen Kranz Blütenblätter um die gelbe Mitte herum. Sonnenblumen und Glockenblumen. Feuerroter Mohn. Soviele Farben. Alle mussten gemerkt werden. Stummelbrumm freute sich und flatterte kurz mit den Stummelchen. Von der Lehrerin bekam sie einen strengen Blick. Leise sollte sie sein und nicht einen solchen Radau veranstalten.
In der Nacht träumte das Bienchen von all den schönen, süß duftenden Blüten und dass es fleißig mit den anderen von einer zur anderen flog und süßen Nektar und Pollen sammelte.
Am nächsten Tag wurden die Blüten abgefragt. Stummelbrumm hatte sich alle, alle gemerkt! Stolz flatterte es wieder mit den Flügelchen und bekam wieder einen strengen Blick und eine Ermahnung von der Lehrerin.
Wieder einen Tag später saß sie allein im Klassenzimmer. Die anderen Bienenschüler waren auf Übungsflug. Ob sie denn auch alle Blumen erkannten? Hach, Stummelbrumm wäre so so gern dabei gewesen. Aber sie war noch zu klein für den ersten Ausflug und überhaupt würde sie mit den kurzen Flügeln nicht fliegen können.
Eine Ammenbiene holte sie ab. Die ganz kleinen, eben aus den Eiern geschlüpften, Larven mussten gut gepflegt werden. Stummelchen sah erst aufmerksam zu und half dann tüchtig mit. Die Ammenbiene lobte sie, weil sie so schnell lernte. Stummelbrumm flatterte wieder vor Aufregung mit den Flügelchen. Oh weh! Durch das laute Geknatter wachten die Larven auf und weinten vor Schreck. Die Ammen brauchten ziemlich lange, ehe alle wieder eingeschlafen waren.
„Du darfst doch die Babies nicht so erschrecken, kleine Stummelbrumm. Sonst können sie nicht richtig wachsen.“, mahnte die Ammenbiene. Traurig ließ das kleine Bienchen die Fühler hängen. Sie hatte sich doch nur so gefreut und da bewegten sich halt ihre Flügelchen von ganz allein.
Am nächsten Morgen holte sie eine alte Biene aus dem Bautrupp ab. Wabenbau war in diesen Tagen besonders wichtig. Es gab Waben für Honig, welche für Pollen, noch andere für die Larven, wieder andere für die Puppen. Und dann waren da ja noch die Schlafwaben für die Bienen.
„Waben müssen fünf Ecken haben und ganz gleichmäßig gebaut sein.“, erklärte ihr die Baubiene. Wieder schaute Stummelbrumm aufmerksam zu und half dann tüchtig mit. Ihre erste Wabe war eine Honigwabe und ganz gleichmäßig geraten, genau so wie sie sein sollte. Die alte Biene lobte sie.
„Sehr schön. Du hast wirklich Talent. Nur ganz wenige bauen eine so schöne erste Wabe. Im Laufe der Zeit musst du nur ein wenig schneller werden. Aber das wird schon, wenn du fleißig übst.“
Stummelbrumm strahlte. Und wieder knatterten ihre Flügel vor Aufregung. Die Bauarbeiterinnen waren zuerst ganz schön erschrocken, hatten sie doch gedacht, eine Hornisse hätte sich in den Stock geschlichen. Stummelchens Fühler hingen schon wieder nach unten. Ihre Flügel schlugen einfach so, wenn sie sich freute. Doch die Baubienen lachten, als sie merkten, dass diese kleine Biene einen solchen Radau machte. Also war es beschlossene Sache, dass das Bienchen beim Wabenbau mithelfen sollte.
Die Tage vergingen und tatsächlich stellte sich Stummelbrumm als sehr tüchtige Baubiene heraus. Ihre Waben waren alle ganz gleichmäßig und sie war bald so flink, wie die erfahrensten Baubienen. Mittlerweile war es richtig Sommer geworden. Im Stock wurde es wärmer und wärmer und schließlich heiß. Das Wachs wurde ganz weich und alle Bienen, die im Stock waren, mussten mit schnellen Flügelschlägen helfen, die Waben zu kühlen. Alle – außer Stummelbrumm. Ihre Flügel machten einen solchen Radau, dass die Wächterbienen nicht mitbekommen hätten, wenn Feinde – Wespen oder gar Hornissen – sich einschleichen wollten.
Betrübt setzte sich die kleine Biene an das Einflugloch. Sie musste immer mehr zur Seite rücken, damit die anderen Bienen hinein und heraus konnten. Dabei hörte sie auch die Gespräche. Das Wetter war seit dem großen Sturm immer sonnig und heiß gewesen. Die Blumen verdorrten an den Stängeln. Sie mussten weit, weit fliegen, um überhaupt noch ein paar Tropfen Nektar zu ergattern. Plötzlich summte eine erschöpfte Biene heran und stieß fast mit Stummelbrumm zusammen. Die Kleine konnte sich nicht mehr halten und stürzte in die Tiefe. Verzweifelt schlug sie mit den zu kurzen Flügelchen. Sie konnte doch damit nicht fliegen. Das war ihr immer wieder gesagt worden.
Kurz vor dem Aufprall auf dem Boden bremste das heftige Flattern schließlich den Sturz. Sanft landete sie auf einem großen grünen Blatt. Hier unten war es schattig und kühl und so konnte sie sich erst einmal von dem Schreck erholen. Aber wie sollte sie wieder in den Stock zurück kommen? Probehalber schlug sie mit den Flügeln. Erschrocken von ihrem eigenen Geknatter hörte sie wieder auf. Aber hier war niemand, den es störte und der sie dafür streng ansah oder ausschimpfte. Also versuchte sie es wieder und wieder und wieder. Es war Abend geworden und Stummelchen saß noch immer auf dem Blatt und versuchte verzweifelt, zu fliegen. Schließlich gab sie es auf, krabbelte unter das Blatt und schlief ein.
Gleich früh am nächsten Morgen, nachdem sie einen Tautropfen getrunken hatte, putzte sie sorgfältig die Flügelchen und begann wieder zu flattern. Es ging schon besser und sie hob tatsächlich ein paar Zentimeter ab. Sie flog! Juhu!!! Es war anstrengend, sehr sogar. Sie musste ungefähr doppelt so schnell mimt den Flügelchen schlagen, wie die anderen Bienen. Aber sie flog! Nicht sehr hoch. Aber sie flog! Immer weiter und weiter flog das Bienchen. Vor Begeisterung bemerkte sie nicht, wie weit sie sich vom Stock entfernte.
Schließlich kam sie auf eine Wiese. Dort ruhte sie sich aus. Sie kletterte einen dürren Grashalm bis ganz hinauf und sah sich um. Vom Stock keine Spur. Auch andere Bienen oder Insekten sah und hörte sie nicht. Das Gras stand zwar hoch, war aber gelb und verdorrt. Auch die Blumen sahen merkwürdig aus. Stummelchen erkannte sie alle. Und doch – alle sahen so staubig und farblos aus. Sie waren vertrocknet. Ihr Magen knurrte, hatte sie doch außer dem Tautropfen am Morgen noch nichts zu sich genommen.
Ein leiser Wind strich durch das Gras und brachte einen süßen Geruch mit sich. Stummelbrumm stutzte. Hoch oben auf dem Grashalm konnte sie fast die ganze Wiese überblicken und sah doch keine frische Blüte. Sie ließ sich sacht hinabgleiten und folgte dem Geruch, der sie wie magisch anzog. Dicht über dem Boden, wo es noch nicht so heiß war, knatterte sie dahin. Inmitten der dürren Grasstängeln leuchteten kleine lila Punkte zwischen dunkelgrünen Blättern. Es waren winzige Blüten, sie dufteten herrlich. Stummelbrumm konnte sich richtig satt an dem Nektar trinken.
Sie kletterte erneut an dem trockenen Grasstängel nach oben. Dort angelangt ließ sie ihre Flügel laut knattern. Die Bienen aus ihrem Stock kannte das Geräusch und wenn eine von ihnen in der Nähe war, würde sie zu Stummelbrumm finden. Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis eine Biene aus dem Stock angeflogen kam. Sie sah erschöpft und hungrig aus, als sie sich niederließ.
„Stummelbrumm! Was machst du denn hier? Wir haben uns schon solche Sorgen gemacht.“, rief sie ihr vom Nachbargrashalm zu.
„Ich hab ganz viel Nektar gefunden!“, rief Stummelchen aufgeregt zurück und knatterte erneut mit den Flügelchen. „Komm mit!“ Schon ließ sie sich sacht nach unten gleiten und flog zu den lila Blümchen. Der älteren Biene blieb nichts übrig, als ihr in das Dickicht der Grashalme zu folgen. Diese Wiese hatten sie und ihre Schwestern schon lange abgesucht. Ohne eine frische Blüte zu finden. So tief im Dickicht der Halme konnte ja auch nichts mehr blühen. Stummelchen war schon weit voraus geflogen, zum Glück hörte die alte Biene noch das Knattern. Sie musste sehr gut aufpassen, dass sie nicht mit den Flügeln an die Halme stieß. Sie wollte schon aufsteigen und umkehren, als auch ihr der süße Geruch in die Nase stieg. Das Knattern von Stummelbrumms Flügeln hatte aufgehört und nur wenige Flügelschläge später war die alte Biene bei den kleinen lila Blüten angekommen. Sie ruhte sich aus und trank reichlich von dem Nektar.
Nach einer Weile flog sie gemeinsam mit Stummelbrumm zum Stock zurück. Stummelchen hielt gut mit, war aber völlig außer Atem, als sie endlich angelangt waren und zwei der Wächterbienen mussten ihr zum Einflugloch hinauf helfen. Dort erzählten Stummelbrumm und die alte Sammelbiene von Stummelchens Fund.
„Nie hätten wir die Blumen gefunden, ohne unsere kleine tapfere Stummelbrumm. Wie sie durch die Grashalme geknattert ist. Da war es gut, dass ihre Flügel so kurz sind! Und ohne ihr Geknatter hätte ich sie nie gefunden. Unsere schlaue Stummelbrumm!“ Das Bienchen flatterte wieder stolz mit den Flügeln und alle anderen Bienen summten Beifall.