Frühlingsfest im Wald

Endlich war es soweit! Der Winter war endgültig aus dem Tal verschwunden. Die Moosleute hatten zum Frühlingsball geladen. Auf der großen Lichtung bei der Birke sollte er stattfinden. Alles, was da krabbelte und kreuchte und fleuchte, alle Blumen waren zum großen Fest eingeladen. Sogar die Waldfrau – die gütige Mutter des Waldes hatte zugesagt, zu kommen.  Die Spinnen woben schon zarte Netze, in denen Tautropfen wie Sterne funkeln würden. Auch die  Glühwürmchen hatten zugesagt und würden für eine festliche Beleuchtung sorgen, bis der Vollmond herauskam. Die Spitz- und Haselmäuse und die Eichhörnchen hatten versprochen, von ihren letzten Wintervorräten Nüsse und Samen für das Festmal mitzubringen. Die Bienen waren schon eifrig am Honig sammeln. Und die Birke würde auch dieses Jahr den Fühlingstrunk beisteuern. Die Moosweiblein hatte schon den süßen Saft gezapft.

Alle Blumen von der Wiese legten ihre schönsten Kleider an. Die Maiglöckchen kamen in zarten Grün und Weiß. Die stolzen Tulpen trugen ein strahlendes Rot. Die Schlüsselblumen würden in hell leuchtenden Gelb erscheinen. Und die Gänseblümchen hatten sich mit gelb und weiß mit einem Hauch rosa geschmückt.

Viola, das kleine Veilchen, dass am Rande der Wiese an einem schattigen Plätzchen wohnte, freute sich schon seit Wochen auf das Fest. Es würde zu ersten Mal dort sein. Es war so aufgeregt. Das schönste dunkelgrün für den Blätterrock hatte es sich schon herausgelegt – und den violetten Kopfputz. So undendlich lange Stunden hatte es für die Auswahl der Farbe und die richtige Form aufgewendet. Ein wunderschönes dunkles Lila, aus dem das gelbe Gesichtchen herausspitzte.

Endlich war es soweit, Frau Nachtigall rief mit ihrer lieblichen Stimme groß und klein zur Birke. Es war eine Pracht! Die Moosleute hatten sich nicht lumpen lassen und alles aufgefahren, was Wald und Wiese hergaben. Da gab es Eichelbrot mit süßen Waldhonig, Nusskuchen und glasklares Wasser von der Waldquelle. Und natürlich der Fühlingstunk – süß und perlend. Die Moosweiblein hatte den Birkensaft leicht vergären lassen und jetzt floss er schäumend in die Becher. Die Glühwürmchen leuchteten um die Wette und so war der Festplatz in ein weiches Licht getaucht.

Frau Nachtigall gab sich die Ehre, das erste Lied des Abends zu singen. Eine schmetternde Arie auf den Frühling. Alle lauschten gebannt. Stürmischer Applaus belohnte die Sängerin für ihre Mühen. Wie lange sie dieses Lied einstudiert hatte. Wie viele Abende. Dafür hatte war es heute perfekt. Danach stimmten die Meislein und Stare eine lustige Weise an, die den Zuhörern direkt in die Beine fuhr. Viele tanzten und drehten sich im Reigen. Es gab wilde Hopser und Sprünge. Sogar der alte Ohm Maikäfer tanzte mit behäbigen Bewegungen mit. Fräulein Lerche hatte es sich ebenfalls nicht nehmen lassen, zum Fest zu erscheinen und ein glockenhelles Liedchen zum Besten zu geben. Dabei schlief sie um diese Zeit schon längst.

Viola saß alleine ganz am Rand und schaute sich alles staunend an. Die vielen Besucher. Die Farben, die Lieder, den wilden Tanz. Mutterseelenallein saß es da am äußersten Eck. Es kannte ja niemanden. Ein paar Mal hatte es schon versucht, ein Gespräch mit den anderen Gästen zu beginnen. Die stolzen Tulpen hatten es schlichtweg übersehen, die Maiglöckchen hatte ihm nur kurz zugenickt und waren ohne es zu beachten weitergegangen. Die Hummeln und Bienen waren über es hinweggesummt. So hatte es sich schließlich am Rand mit einem Becher Quellwasser niedergelassen. Niemand kam und sprach mit ihm, niemand forderte es zum Tanz auf. Dabei hatten die Heuschrecken und Heimchen jetzt angefangen lustig zu fiedeln und zu zirpen und so gerne hätte auch das Veilchen getanzt. Alle, alle waren lustig und fröhlich. Nur das kleine Veilchen beachtete niemand. Schlimmer sogar: als es zum Tanzplatz nach vorn gehen wollte, wurde es geknufft und geschubst und zur Seite gedrängt. Die Gänseblümchen tuschelten mit den Akelei und den gelben Butterblumen und warfen dem armen Veilchen spöttische Blicke zu. Der wundervolle Kopfputz war in der Dunkelheit kaum zu sehen. Das Violett, das in der Sonne so wundervoll geleuchtet hatte, war nun nur ein Schatten in der Dunkelheit.

„Nein, wie kann man nur so ärmlich und schäbig zum Frühlingsball kommen? Da ist doch kein ordentliches Gewand!“, hörte es gerade eine Butterblume sagen. So schlich sich das arme Veilchen zurück zu seinem Platz, von wo es dem lustigen Treiben von der Ferne zuschaute. Es fühlte sich einsam, wie es dort so saß und nur ab und zu an seinem Quellwasser nippte. Der Vollmond war inzwischen aufgegangen und beleuchtete das Fest mit hellen Strahlen. Die Musikanten machten gerade eine Pause und labten sich am Birkensaft. Alle redeten und lachten und schmausten. Der alte Ohm Maikäfer war völlig außer Puste und sprach dem schäumenden Frühlingstrunk tüchtig zu. Nur das Veilchen beachtete niemand, wie es dort so allein am Rand saß.

Selbst an seinem schattigen Plätzchen am Wiesenrand hatte sich das Veilchen noch nie so einsam gefühlt. Heiße Tränen traten ihm in die Augen, flossen schließlich über und fielen in den Becher mit dem Waldquell-Wasser. Als die Tränen das Wasser berührten, entströmte dem Becher ein unglaublich süßer Duft. Die Bienen und Hummeln und Schmetterlinge sahen sich als erste um, woher dieser kam. Sie folgten ihrer Nase und wären fast mit dem Veilchen zusammengeprallt, hätte der liebe Mond nicht einen besonders dicken Strahl auf es gerichtet. Die violette Kappe schimmerte geheimnisvoll im Mondlicht. Auch die anderen Gäste wurden nun aufmerksam. Es summte und brummte und krabbelte rund um das Veilchen herum. Es war ganz verlegen und hielt den Kopf gesenkt. Was hatte es jetzt nur wieder angestellt? Staunend versammelte sich die Festgesellschaft, um zu schauen, was diesen süßen Duft hervorbrachte. Als letztes erschien die gütige Waldmutter. Sie strich dem kleinen Veilchen zärtlich über den Kopf.

„Aber, aber! Wer wird denn an so einem Freudentag Tränen vergießen?“, fragte sie. Das Veilchen schluchzte und erzählte mit leiser Stimme: Wie es sich auf den großen Tag gefreut hatte und von den Vorbereitungen, wie es seine violette Kappe gemacht hatte. Und dann erzählte es, wie es sich gefühlt hatte, als es so gar nicht beachtet wurde. Von der Einsamkeit inmitten des lustigen Treibens und wie sich schließlich seine Gefühle in dem Strom der Tränen Bahn gebrochen hatte. Die gute alte Waldfrau hörte dem Bericht des Veilchens aufmerksam zu. Dann sprach sie und ihre Stimme hallte klar über die Lichtung.

„Niemand soll aus unserer Gemeinschaft ausgeschlossen werden, nur weil er vielleicht zu klein oder zu groß, zu unscheinbar oder zu schillernd ist. Alle, alle sind willkommen bei uns. Und gerade heute! Ich schenke dem Veilchen zum Zeichen, dass es stets willkommen sei bei uns, den Duft, den ihr alle gerochen habt. Möge er nun immerdar mit dem kleinen Blümchen im Schatten verbunden sein.“ Sie nahm den Becher mit dem Waldquell-Wasser und kippte ihn in einem silberhellen Strahl über das Veilchen aus. Die Haube leuchtete strahlend auf. Als das Strahlen wieder nachließ, leuchtete die lila Kappe noch immer. Der Duft, den das Veilchen nun verströmte, war süß und würzig zugleich. Eine Biene verbeugte sich vor dem Veilchen und forderte es zum Tanze auf. Die Grillen und Heimchen stimmten eine lustige Weise an und den Rest des Festest tanzte das Veilchen und war fröhlich. Es wusste, es würde immer willkommen sein.

Einzig der alte Ohm Maikäfer hatte von alldem nichts mitbekommen. Er hatte dem Frühlingstrunk zu sehr zugesprochen und schnarchte auf dem Rücken liegend.

 

Liebe Leser!

Ich hoffe, die kleine Geschichte hat euch gefallen. Über einen Kommentar würde ich mich wirklich sehr freuen.

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2 Gedanken zu „Frühlingsfest im Wald“

  1. Hallo liebe Rike,
    vorweg möchte ich dir ganz herzlich dafür danken, dass du deine Anregungen, Gedanken sowie dein Wissen weiter gibst und hier mit uns teilst. Einfach grossartig! Wie Frau Koch bereits schon sagte und ich mich dem nur anschliessen kann, ist man beim lesen förmlich gefesselt und gar fast traurig, das die Geschichte leider schon zu Ende ist. „Frühlingsfest im Wald“ ist dir absolut gelungen und ich freue mich schon jetzt auf mehr. Täglich schaue ich hier neugierig, im Hinblick auf die Vorankündigung Juni, vorbei.
    Lass von dir hören, mach weiter so!
    Liebe Grüße

  2. Liebe Frau Hayn,
    da ich im Kindergarten sehr viele Geschichten vorlese, habe ich einen gewissen Überblick und kann sagen, dass dieses Märchen das beste ist, die ich seit langen lesen durfte. ich freue mich schon auf die strahlenden Kinderaugen, wenn auch der Kindergarten davon profitieren darf.
    Einfach zauberhaft und die Bilder, die so wunderschön beschrieben, bleiben im Gedächtnis.

    Einfach klasse, dass Sie so ein Talent besitzen!

    Herzlichst Kerstin Koch

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